Ein seltsamer Zufall? (Casey POV)
Das langsame Ticken des Sekundenzeigers verspottete mich, als ich wiederholt einen Blick zur Uhr warf. Es war erstaunlich wie viel Zeit ich in Meetings verbringen musste, obwohl mein Beruf so weit abseits der gesellschaftlichen Norm lag.
„Wenn wir nicht an den Kongo verkaufen, tut es jemand anderes. Das sind…“ Manny konnte seinen Appell das dritte Mal an diesem Abend nicht zu Ende führen, er wurde prompt von Sandy überschrien. „Deine Parteilichkeit ist so minderwertig. Wir haben bereits fünf Mal in den Kongo verkauft. Gute Absichten hin oder her, wir verfolgen mehr als ein Ziel!“ Ihr Tonfall hätte nicht ätzender sein können und trotzdem ging er kurze Zeit später in dem Lärm der anderen 8 Teilnehmer unter. Ich hatte mir viel von dem Engagieren dieser Leute versprochen und sie taten ihren Teil zufriedenstellend. Aber Disziplin und geordnetes Vorgehen lagen ihnen fremd.
Mit einem resignierten Seufzen stand ich auf. Sofort wurde es still im Raum und ich hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Sagt unserem Partner im Kongo sie bekommen diesen Monat 70% und die restlichen 30%, wenn sie mit uns über einen neuen Vertrag verhandelt haben. Sollten wir langfristig in sie investieren, brauchen wir neue Konditionen.“ Manny nickte. Ich wandte mich Sandy zu.
„Sandy überarbeite das Satellitenprofil der militärischen Aktivitäten in den für uns relevanten Gebieten in Afghanistan. Wir brauchen mehr Informationen, bevor wir weitere Schritte unternehmen können. Und finde für mich eine zuverlässigere Kontaktperson. So eine Finte wie beim letzten Mal, sollte sich nicht wiederholen.“
Es klopfte und eine dunkelblonde Frau in einem adretten Designeranzug und dazu passenden Pomps betrat mit energischen Schritten den Raum.
Ich sah ihr an, dass es dringend war, sie hätte die wöchentliche Sitzung nicht ohne triftigen Grund unterbrochen. Das Tablet, das sie mir hinhielt, bestätigte meine Vermutung.
„Connection lost“ stand dort in einem kleinen Feld und dahinter einige Daten, in denen auch der Name ´Jonas Krewood´ vorkam. „Und das Backup?“ fragte ich, aber sie schüttelte den Kopf. „Ergebnislos. Der Sender wurde entfernt.“ Mit einem Stirnrunzeln wandte ich mich an die wartenden Sitzungsmitglieder.
„Konzentriert euch auf den Kongo und Afghanistan. Und überwacht die Lieferung am Freitag. Die Sitzung ist beendet.“ Mit geschäftigem Murmeln erhoben sich die Teilnehmer und verließen teils wieder streitend den Raum. Als die Tür sich mit einem leisen Klicken hinter der letzten Person schloss widmete ich mich dem Tablet vor mir. Es brauchte nur wenige Berührungen und ich hatte den Zeitpunkt der letzten Übertragung. „00:41. Vor 20 Minuten.“
Das war eine untypische Zeit für Jonas für jegliche Form von Aktivitäten. Ich hatte ihn ausgesucht, weil er eine sehr vorhersehbare Person mit einem gleichbleibenden Tagesablauf war. Für einen Unfall war es für diesen Mann eindeutig zu spät, was eine medizinische Ursache für das Entfernen des Senders ausschloss.
„Hast du Zugriff auf die Überwachungskameras seines Apartments?“ fragte ich Judith Scott und sie nickte. „Auf dem großen Bildschirm.“
Ich drehte mich um, während nach dem Tippen auf eine unauffällige Schaltfläche in meinem Schreibtisch die Wand hinter mir sich langsam absenkte und den Blick auf einen vier mal zwei Meter großen Bildschirm freigab. Dieser zeigte bereits das leere Standbild des Flures vor der Wohnung von Jonas. Mit einem beiläufigen Wischen baute das Tablet Verbindung zum Bildschirm auf und ich konnte das Video starten. Wie zu erwarten hatte Judith bereits alles vorbereitet und wenige Sekunden nach dem Beginn des Videos hatte ich den wichtigen Teil der Aufnahme vor mir.
Ich schaute etwas verdutzt und spielte die Aufnahme nochmal ab. „Warum entführt jemand meinen Künstler?“. Das ergab keinen Sinn. Von allen Personen innerhalb meiner Organisation war er der unwichtigste. Es gab niemanden mit weniger Informationen. Entweder jemand hatte keine Ahnung, zu wem er gehörte oder er versuchte besonders unauffällig vorzugehen und sich die scheinbar unbedeutsamste Person zu schnappen. war das Ganze ein seltsamer Zufall?
„Hast du mit dem Nachtportier gesprochen?“ erkundigte ich mich bei Judith, während ich die Aufnahme ein drittes Mal abspielte, dieses Mal langsam damit mir kein Detail entging.
„Er hat niemand Fremden gesehen. Weder vor noch nach der Entführung. Herr Krewood ist wie üblich gegen 22:30 Uhr zurückgekehrt und zu seiner Wohnung hochgefahren. Danach wurde er nicht mehr gesehen.“
Natürlich. Kurz darauf ist er von unserem netten Freund hier entführt worden. Anhand der Statur und den kontrollierten, auf ein Nötigstes beschränkte Bewegungen schloss ich, dass es sich dabei nicht nur um einen Mann, sondern auch um einen Profi handelte. Er hatte gekonnt jeden Blick in die Kamera vermieden. Selbst mit Zugriff auf die anderen Kameras innerhalb des Wohngebäudes war es mir nicht möglich, ausmachen, wo er die Anlage betreten und wieder verlassen hatte.
„Nimm Kontakt zu unserem Mann in DC auf. Rastersuche, vorsichtig und ohne viel Aufsehen. Wir brauchen erst mal Informationen bevor wir uns diesen Leuten offen nähern.“ Judith nickte und begann bereits eine Nachricht in ihr Telefon zu tippen.
„Soll ich die Alarmstufe erhöhen?“
„Nein. Jonas wusste nichts über uns. Er war nur der arme Kerl, der mich in der Öffentlichkeit vertritt.“ Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl im Bauch.
„Schick ein Memo an `die Heads` mit den nötigsten Informationen. Sie sollen die Augen aufhalten und ansonsten wie gewohnt weiterarbeiten.“ Es wäre schade um Jonas, aber es bestand immer noch die Möglichkeit, dass das ganze nichts mit mir zu tun hatte. Bis dahin würde ich mich nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen.
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